Ausgestellt bei der Gilde-Ausstellung in Dinkelsbühl 2015 und zur Abstimmung bei den Patchworktagen in Celle 2018.
200 x 200 cm (H x B)
Material: Baumwolle hand- und maschinengenäht, handgequiltet
Stellungnahme für die Sammlung der Patchwork Gilde Deutschland e.V.
Birgit de Coster - Baby Jane
1991 wurde ein Quilt von Jane A. Stickle in dem Buch “Plain and Fancy” von Donna Bister und Richard Cleveland veröffentlicht. Der Quilt war einer von 45 Arbeiten, anhand derer die Geschichte von Vermont von der Zeit der ersten Siedler bis nach dem Zweiten Weltkrieg aufgezeichnet wurde.
Jane A. Stickle kam am 8. April 1817 als Tochter von Erastus Blakely (1786-1831) und Sarah (Sally) Rein (1776-1864) unter dem Namen Jane A. Blakely zur Welt. Über Jane A. Stickle ist wenig bekannt. Es wird vermutet, dass sie 1850 Walter A. Stickle heiratete und dessen drei Kinder aus einer vorausgegangenen Ehe versorgte. Eigene Kinder hatte sie vermutlich nicht. In den 1860er Jahren wird Jane A. Stickle in einer Volkszählung erfasst. Darin heißt es, sie würde alleine leben, ihr Mann lebte indes bei seinem Schwager. In der Volkszählung der 1870er Jahre wird wiederum vermerkt, dass Jane A. Stickle mit ihrem Mann zusammenleben würde. Sie starb am 2. März 1896 und hinterließ dabei den heute bekannten Quilt, der die Signatur „In War Time 1863“ trägt. Die 169 Blöcke, 108 Dreiecke und 4 Eckstücke sind teils gepatcht, teils appliziert. Kein Muster oder Stoff der einzelnen Blöcke und Dreiecke wurde mehrmals verwendet. Der Original Quilt ist heute in Besitz des Bennington Museums (Bennington, Vermont, USA) und wird nur gelegentlich ausgestellt, zuletzt vom 1.9. – 8.10.2018.
Brenda Papadakis stieß 1991 auf das Buch „Plain and Fancy“ und war von dem Quilt fasziniert. Als Mathematiklehrerin begann sie, die Quilt Blöcke einzeln aufzuzeichnen. Die komplette Sammlung ihrer Schemazeichnungen wurde in dem Buch „Dear Jane: the Two Hundred Twenty-five Patterns from the 1863 Jane A. Stickle Quilt“ veröffentlicht. Noch in der 1990er Jahren fingen daraufhin zahlreiche Quilterinnen weltweit an, den Quilt nachzuarbeiten. Teils alleine zuhause, teils in Quiltgruppen. Da der Begriff „Dear Jane“ geschützt ist, wurden diese Quilts als „Baby Jane“ bekannt. Unter diesem Namen gab es eine Sonderausstellung bei den Patchworktagen 2015 in Dinkelsbühl. 2016 hingegen wählten Kim Caskey, Kanadierin und Jeltje van Essen aus Holland bei ihrer Ausstellung Im Rahmen des Europäische Patchworktreffens in Sainte-Marie-aux-Mines den Namen „Share Jane“. Das Jane-Fieber hält bis heute an, erst 2015-2107 hat die Patchwork Gilde Deutschland einen Baby-Jane sew-along auf facebook arrangiert, in dem wöchentlich zwei Blöcke vorgestellt wurden, die alle Beteiligten nachgearbeitet haben. Berichte hierzu findet man auch in den Mitgliederzeitschriften 123 – 132 in der Rubrik „Sag niemals nie“ von Dr. Uta Lenk.
Um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen, beschloss die Patchwork Gilde Deutschland e.V. 2017, einen Baby Jane Quilt für die Sammlung anzukaufen. In der Mitgliederzeitschrift vom Dezember 2017 wurde der Aufruf veröffentlicht. Mitglieder und Nicht-Mitglieder der Patchwork Gilde Deutschland waren aufgefordert, ein Angebot zu unterbreiten, wenn ihr Quilt in der Sammlung aufgenommen werden sollte. Aus den sieben Bewerbungen wurden zwei ausgewählt, die den Mitgliedern zu r Wahl gestellt wurden. Die Abstimmung erfolgte bis 31.8.2018. Dabei haben sich die Mitglieder mit 231 zu 88 Stimmen für den Quilt von Birgit de Coster entschieden.
Birgit De Coster erzählt:
„Auf der schwäbischen Alb habe ich 2002 zum ersten Mal einen Patchwork-Kurs besucht. 2008 zogen wir nach Lohmar. Hier im Quilters Point fand ich schnell Anschluss und neue Inspiration. Als im wöchentlichen Nähtreff das Thema „Baby Jane“ angeboten wurde, war ich sofort dabei.
Dieser Quilt faszinierte mich mit seinen vielen unterschiedlichen Blöcken, die mal einfach, mal schwierig zu nähen waren. Mich faszinierten die schier unendlichen Möglichkeiten, wie man durch unterschiedliche Farbgebung einen scheinbar völlig anderen Block nähen kann. Mir war allerdings von Anfang klar, dass ich den Quilt nicht in den originalen Farben nähen würde, und ich wollte möglichst viele meiner Reste verarbeiten. Trotzdem hat bei fast jedem Block die Wahl der Stoffe gefühlt länger gedauert als das Nähen selbst. Je nach Motiv habe ich mit der Hand oder mit der Maschine genäht, auf Papier oder über Papier, appliziert oder reverse-appliziert. So ist der Quilt nicht nur eine Block-Sammlung geworden, sondern auch eine Nähtecknik-Sammlung. Gequiltet ist er komplett mit der Hand. 2014 stellte die Gruppe ihre „Baby Jane“-Quilts in Hennef aus, und genau diese Ausstellung ging 2015 nach Dinkelsbühl zu den Patchworktagen der Gilde.
Während der mittlerweile 16 Jahre, die ich dieses Hobby nun schon betreibe, ist mir nie die Leidenschaft dafür abhandengekommen. Mal ist es ein Stoff, den ich dringend haben muss, mal ist es eine Technik, die ich unbedingt ausprobieren möchte. Ich kehre aber immer wieder zu „meinen“ Farben Blau/Türkis zurück. Sie sind mir einfach am liebsten! Bei der Wahl der Technik ist es anders. Hier wähle ich nach Lust und Laune, deshalb habe ich immer mehrere Projekte parallel in Arbeit.“
Birgit De Coster hat nur einige wenige Blöcke verändert oder nach eigenen Vorstellungen genäht. Die analogen Farben sind bewusst gewählt im Farbspektrum Lila-Blau-Grün-Gelb. Nach 3 ½ Jahren Vorbereitung war ihr die Reihenfolge der Blöcke nach dem Schema des Originals der „Dear Jane“ unwichtig, denn der Farbverlauf sollte im Vordergrund der Gestaltung stehen. Der statische Aufbau der Blöcke wird gründlich aufgelockert durch die dynamische gelbe Diagonale in der Mitte des Quilts. Das ist der Blickfang. Von dort verteilen sich Blau-, Grün- und Türkis-Töne nach oben und nach unten als Flächen, die das Gelb einrahmen. Der Quilt ist flächendeckend von Hand gequiltet, was besonders in den einfarbigen Randblöcken zur Geltung kommt.
Nach der Ausstellung der „Baby Jane“-Quilts in Dinkelsbühl und der späteren Abstimmung für einen Einkauf für die Gildesammlung, entbrannte im Internet unter Vereinsmitgliedern eine kontroverse Diskussion um die Frage, ob eine „Baby Jane“ frei gestaltet werden darf, oder ob er nach dem originalen Quilt „Dear Jane“ eins zu eins umgesetzt werden muss. Die Diskussion verblieb Ergebnisoffen, aber es gibt Argumente für eine freie Gestaltung, wobei diese Entscheidung emotional ausfallen kann.
Die Autorin Brenda Manges Papadakis, die den originalen Quilt analysiert hat und die einzelnen Blöcke für alle Textilausübende unter dem Titel „Baby Jane“ zur Verfügung stellt, schreibt folgendes über die Näherin Jane A. Stickle:
„….. die meisten Blöcke waren mir nicht bekannt, sie sind also von Jane Stickle gestaltet. Ihr Quilt ist mehr als Geometrie! Er ist nicht traditionell, sondern kreativ und neuartig, ja, in der damaligen Zeit avantgardistisch. Neu und spannend in Design und Komposition…..“.
Dürfen wir nicht auch so frei mit dem Thema umgehen, wie Jane A. Stickle es sich erlaubte? Es ist bemerkenswert, dass Papadakis in ihrem Buch hauptsächlich Abbildungen von Quilts, die Blöcke von „Dear Jane“ beinhalten, aber sonst in moderner Gestaltung erscheinen. Dieser Weg mit dem Erbe umzugehen, wurde offenbar von der Autorin akzeptiert.
Dazu ein Zitat:
„Eine lebendige Kunst wiederholt nicht die Werke der Vergangenheit.
Sie setzt sie fort!“ (Auguste Rodin)
Die Kunst zu Erben! Es stellt sich die Frage, wie wir mit dem kulturellen Erbe des Patchworks und Quiltens umgehen. Wiederholen oder Weiterentwickeln? Wie transferieren wir dieses Kulturerbe in die heutige Zeit? Was ist erlaubt, und was sollen wir lieber lassen? Sicher ist aber, dass unser textiles Erbe nicht stehen bleibt, sondern ständig kleine Veränderungen erfährt, sei es alleine durch die heutige Materialwahl und durch neue Farbempfindungen. Es ist nicht nur eine persönliche Wahl, sondern sie wird auch im Unterbewusstsein durch Materialangebote, Mode und Zeitgeist beeinflusst, sowohl bei dem Ausübenden als auch bei dem Betrachter.
Bei den wenigen „Baby Janes“, die von Mitgliedern zum Verkauf für die Gildesammlung angeboten wurden, war der Quilt von Birgit De Coster bei der Abstimmung durch die Mitglieder der eindeutige Favorit. Der Preis, den die Gilde für den großen Quilt bezahlt, deckt bei weitem nicht den enormen Arbeitsaufwand des Herstellens. Die Künstlerin betont aber, dass es für sie ein ehrenamtliches Engagement für die Gilde ist, und es eine Ehre ist ihren „Baby Jane“ der Gilde zu übergeben.
Die Gildesammlung soll die Strömung der Quiltkunst in Deutschland aufzeigen laut dem Thema: “Darstellung der Entwicklung des Patchworks in Deutschland“. Aus dieser Sicht, aber mit Respekt vor den alten Vorbildern und ihren Idealen, kann ich zustimmen, dass dieser moderne, farblich veränderte „Baby Jane“-Quilt von Birgit De Coster in die Sammlung der Patchwork Gilde Deutschland e.V. aufgenommen wird.
Quellen:
- Papadakis, Brenda Manges: Dear Jane. Quilt House Publishing. 1996. ISBN 1-881588-15-7
- http://www.dearjane.com/(link is external)
- Mitgliederzeitschriften der Patchwork Gilde Deutschland e.V. Ausgaben 123 – 132
- Catalogue Prestige 2016, 22nd European Patchwork Meeting
- https://benningtonmuseum.org/exhibitions/past-exibitions/(link is external)
Helle Eggebrecht, Oktober 2018