175 x 175 cm
Baumwolle, Seide
Stellungnahme für die Sammlung der Patchwork Gilde Deutschland e.V.
Dorle Stern-Straeter - Oktaeder
Ein bemerkenswerter Quilt!
Betrachtet man die Quilt-Karriere von Dorle Stern-Straeter, einer der renommiertesten Quilt-Künstlerinnen Deutschlands, so fallen einem die Parallelen zur Entstehung der Patchwork- / Quiltszene in Deutschland auf.
Glücklich verheiratet, nette Familie – „aber es fehlte da immer etwas, das mich wirklich befriedigte und begeisterte“, schildert Dorle Stern-Straeter (* 1939) mit Ende 20 ihre Situation. Aufgewachsen in einem Pfarrhaus in Baden-Württemberg und von klein auf handarbeitend und an Kunst interessiert, lebt Dorle Stern-Straeter mit Ehemann und Tochter ab 1976 für einige Jahre in den USA. Dort sieht sie bei einem Museumsbesuch die ersten Quilts und ist begeistert. Das ist es, was sie lernen will! Sofort besucht sie einen Anfängerkurs und näht in zwei Jahren ca. 20 traditionelle Quilts und wird Mitglied in einer amerikanischen Quiltgruppe in ihrer Nähe.
1976 ist auch das Jahr, in dem die Vereinigten Staaten 200 Jahre Unabhängigkeit feiern. Man besinnt sich auf typisch Amerikanisches und dazu gehört auch das Kunsthandwerk Patchwork und Quilten. So wird z.B. der „Great Quilt Contest“ u.a. von der Zeitschrift „Good Housekeeping“ und dem New Yorker Museum of American Folk Art durchgeführt. Es werden nahezu 10.000 Quilts aus allen Landesteilen eingereicht. Was für eine wunderbare Zeit für Dorle Stern-Straeter: Überall gibt es Ausstellungen mit alten und neuen Quilts. Dies bleibt auch in Deutschland nicht verborgen, die Kunde verbreitet sich.
1979 trifft Dorle Stern-Straeter Michael James, den bekannten amerikanischen Quiltkünstler und -lehrer, und ist fasziniert von seinen farbenfrohen modern aufgefassten Kurven-Quilts. Sie besucht zunächst einen seiner Workshops (vier, fünf bis 1988) und es entstehen eigene Entwürfe in „Kurven-Technik“. Mit einer ganzen Serie von ca. 20 Quilts schöpft sie die Technik, indem sie sie variiert, aus, ihre Quilts gewinnen Preise und werden bei „Quilt National“, dem renommiertesten Wettbewerb für moderne Quilts in den USA, angenommen. Bis zu ihrer Rückkehr nach Deutschland 1982 verwendet sie auch verschiedene Stoffqualitäten in ein und demselben Quilt, beginnt zu unterrichten und hat mehrere Solo-Ausstellungen.
Während ihres einjährigen hiesigen Aufenthalts näht sie fieberhaft und begeistert mit sechs Einzelausstellungen. Auch andere deutsche Quilter kehren zu dieser Zeit von USA- oder Kanada-Aufenthalten zurück, der „Quilt-Virus“ verbreitet sich, im Textilmuseum Max Berk (Heidelberg) findet 1984 die 1. Deutsche Quilt-Biennale statt – bei der Dorle Stern-Straeter als fachkundige Jurorin mitwirkt und ausstellt – und 1985 wird die Patchwork Gilde Deutschland e.V. gegründet, wo sie Mitglied wird.
Der Aufenthalt in Saudi-Arabien (1983 – 88) mit seiner Wüste und Architektur führen nicht nur zu einer neuen Farbpalette, sondern auch zu architektonischen Elementen, die in Dorle Stern-Straeters Quilts eine neue Räumlichkeit entstehen lassen.
Der Mangel an neuen Stoffen veranlasst Dorle Stern-Straeter, eine eigene „Crazy-Technik“ zu entwickeln, die zu ihrem Markenzeichen wird. Über die Jahre modifiziert sie diese Technik immer weiter, integriert sie in unterschiedliche Blocks, kombiniert sie mit anderen Blocks, Formen und Techniken, später auch mit bemalten und selbst bedruckten Stoffen, kreiert damit sogar Papier-Quilts – schier endlos erscheinende Variationen, es kann ihr gar nicht kompliziert genug werden! Es entstehen sensationelle Arbeiten, phantastische Quilts, deren Schöpferin auf den ersten Blick zu erkennen ist und die sich weltweit höchstes Renommee erwirbt.
Jeden Entwurf arbeitet Dorle Stern-Straeter genau aus, bevor sie ihn in Stoff umsetzt. Ein zugrunde liegendes Raster, originalgetreue exakte Schablonen und präzises Nähen stecken hinter dem vermeintlichen Spiel mit Formen, Farben und Strukturen, die ihre meist großformatigen und immer abstrakter werdenden Quilts auszeichnen. Die Zufälligkeit, die ihrer „Crazy-Technik“ eigen ist, wird durch das jeweilige Blockraster geordnet und rhythmisiert, tritt in den Hintergrund, gestaltet die Fläche.
Dies alles trifft auch auf „Oktaeder“ zu, einem 1989 in ihrer „Crazy-Technik“ gearbeiteten Quilt, dessen Geheimnis in dem erstmals verwendeten Block in Drachenform liegt. In ihrem Buch „Quilts“ schreibt Dorle Stern-Straeter dazu, dass sie diesen Block in ein „Nine-Patch“ und die Ecken abwechselnd noch in Dreiecke unterteilt habe. So erhält sie die vierseitigen Pyramiden, die sie farbig absetzt: Wie in Oktaederform geschliffene Smaragde, Rubine und Bernsteine scheinen sie funkelnd und in regelmäßiger Anordnung über der in „Wüstenfarben“ gehaltenen Fläche zu schweben, die (in verschiedenen Stoffqualitäten) in sanften Farbübergängen mit kleinen eingearbeiteten Kontraststücken – durch ihre Farbgebung Verbindung zu den Oktaedern schaffend – gestaltet und reich gequiltet ist.
Durch die überlegte, raffinierte Anordnung der helleren und dunkleren sandfarbenen Drachenblocks erzielt sie eine Art farblich verschiedener, konzentrisch angeordneter unterschiedlich gebogter Rahmen – einfassend, umrahmend und damit zusammenhaltend wirkend – die zudem zu schwingen scheinen und damit Bewegung ins Bild bringen – ein
Op-Art-Effekt, der Rundungen vortäuscht, wo nur gerade Linien sind, ein optisches Phänomen scheinbarer Bewegung, dem die Künstlerin in weiteren großartigen Quilts nachgeht, es kultiviert und perfektioniert.
Für „Oktaeder“ verwendet die Künstlerin, wie gesagt, den Drachenblock, in den sie, kreativ wie sie ist, für spätere Arbeiten u.a. noch ihr sog. „Flic-Flac-Muster“ – in diesen Block sind zwei lange spitze Dreiecke integriert, die bei Drehung des Blocks durch geschickte Farbgebung optisch vortreten – einarbeitet. Der erste in dieser Art gearbeitete Quilt ist übrigens „Birds Paradise“ (1991), mit dem sie nicht nur 1992 an der ersten Tradition und Moderne-Ausstellung der Gilde teilnimmt, dieser faszinierende Quilt schafft es sogar auf das Cover des Quilt National-Katalogs 1993. Nach und nach schöpft sie alle Möglichkeiten, die sich z.B. durch Drehung, Spiegelung, verschiedene Unterteilungen und Verziehen eines Blocks erreichen lassen, aus.
Neben einer Fülle grandioser Quilts in ihrer so typischen Handschrift, die ihr Preise einbringen und Weltgeltung verschaffen, entsteht 1999 ihr dreisprachiges Buch „Quilts“, in dem sie ihren Werdegang und einzelne Arbeitstechniken beschreibt und über 95 Quilts aus den verschiedenen Schaffensperioden in Farbfotos vorstellt.
Bis dahin hat Dorle Stern-Straeter in 22 Arbeitsjahren über 300 Quilts erschaffen, ihr Wissen in internationalen Workshops und Vorträgen weitergegeben, als Jurorin, z.B. bei der 1. und 5. – 7. Quilt-Biennale, bei der 1. und 2. Europäischen Quilt-Triennale (2000, 2003) und bei der Tradition und Moderne VI (2003), ihre fachliche Kompetenz unter Beweis gestellt und natürlich an einer Vielzahl von Ausstellungen im In- und Ausland teilgenommen, wovon ich an dieser Stelle nur die Tradition und Moderne I – IV (1992 - 1998) und die Tradition und Moderne VI (2003) nennen möchte.
Inzwischen ist es ruhig um die Künstlerin geworden. Um so mehr ist der Patchwork Gilde Deutschland e.V. zu gratulieren, die Dorle Stern-Straeters bemerkenswerten Quilt „Oktaeder“ großzügigerweise von der Künstlerin selbst als Geschenk für die Sammlung erhalten hat und ihr anlässlich der Patchworktage 2018 in Celle eine eigene Ausstellung widmet.
Quellen:
- Dorle Stern-Straeter: Quilts (Bergtor Verlag, Grünstadt 1999)
- Ausstellungskataloge der Tradition und Moderne I - IV und VI – Quilts 1992 - 1998, 2003
- Ausstellungskataloge aller Quilt-Biennalen (1984, 1986, 1989, 1991, 1993, 1995, 1997) und der
1. und 2. Europäischen Quilt-Triennalen (2000, 2003)
Gudrun Heinz, April 2018