8. Europäische Quilt-Triennale
Außergewöhnliche Zeiten erfordern besondere Maßnahmen, bringen meist aber auch exzeptionelle Ergebnisse hervor. So musste dieses Jahr im März die Jury der 8. Europäischen Quilt-Triennale online tagen, um die Juroren aus Norwegen, Tschechien, der Schweiz und Deutschland zusammenzubringen. Aber die von etwa der Hälfte der BewerberInnen des Wettbewerbs eingereichten Arbeitsproben konnten dennoch zuvor von drei der fünf Juroren im Original in Augenschein genommen werden.
Nahezu alle TeilnehmerInnen hatten sich mit ungeheurer Kreativität und Herzblut dem Wettbewerb in diesen Ausnahmezeiten gestellt. Eine deutliche Qualitätssteigerung und mehr Tiefgang waren im Vergleich zu früheren Triennale-Bewerbungen festzustellen, aber auch das Anliegen, Hoffnung und Lebensfreude mit den Objekten zu vermitteln. Rund 40% der 159 Einsendungen aus 17 europäischen Nationen stammten von BewerberInnen mit (semi)professionellem künstlerischem Background, was ein Novum darstellt.
Aufgrund der allgemeinen, pandemiebedingten Umstände fiel es der Jury noch schwerer als sonst, die Anzahl der Bewerbungen auf etwas weniger als ein Drittel zu reduzieren, und sie versuchte dabei, der besonderen Situation aller Rechnung zu tragen. Sie traf eine Auswahl von 50 Exponaten aus 15 europäischen Ländern, erfreulicherweise erstmals auch aus Griechenland, Polen, der Slowakei und Rumänien. Die hohe künstlerische Qualität der Triennale scheint sich folglich auch in Osteuropa herumgesprochen zu haben, woran sicherlich die Präsentation der vergangenen Triennale 2019 in Haslach während der Konferenz des European Textile Networks einen erheblichen Anteil haben dürfte.
Auch der Anteil jüngerer BewerberInnen hat merklich zugenommen, eine ebenfalls erfreuliche Tendenz. An die 31jährige Paulina Sadrak, Kunstabsolventin aus Lodz, erging der Preis für talentierte junge NachwuchsquilterInnen für das Werk „9x11“, einer transparenten delikaten Farbstudie aus Maschinenstickerei mit dem Gesamteindruck eines zerschlissenen Patchworksquilts.
Den Preis für Innovation im großen Format erkannten die Juroren der mit 26 Jahren ebenfalls jungen Ungarin Dóra Márföldi für „Quicky“ zu: einem Upcycling-Objekt, dessen Oberflächendesign und Handquilting den Naturmaterialien mit Gebrauchsspuren eine gewisse Noblesse verleihen und die Verbindung zur Jahrhunderte alten Tradition des Handwerks herstellen.
Zwei Objekte waren im Ranking für den Doris Winter-Gedächtnispreis gleichwertig; daher entschied sich die Jury, erstmalig diesen mit € 5.000 dotierten Preis zu teilen, der gleichermaßen an die beiden Schweizerinnen Rita Merten und Heidi König ging. Trotz der großen Unterschiede, wie z.B. Zweidimensionalität contra Dreidimensionalität, haben beide Objekte den spürbaren Willen, eine positive Botschaft zu übermitteln, gemeinsam. „Physical Distancing“ von Rita Merten versucht die sozialen Verbindungen und die symbolischen Hoffnungen der Menschen in Zeiten des Corona-Lockdowns mit der Maschine emotional und kreativ nachzuzeichnen. In vielschichtiger, anrührender, aber auch heiterer Manier entstand so ein Quilt im Zeitgeist. Auch Heidi König wollte expressis verbis „den täglichen Informationen und Gedanken rund um Covid-19, Lockdown, Krankheit, Homeoffice etc. … etwas "kunterbuntes", fröhliches entgegensetzen.“ Die Durchbrüche dieses 3D-Objektes lassen das Kunstwerk je nach Standpunkt des Betrachters anders erscheinen und rücken es damit in die Tradition kinetischer Kunst; das Spiel mit den traditionellen Motiven von Quadrat und Kreis folgt den Regeln des Patchworks und bricht diese gleichzeitig in cleverer Art und Weise.
Den Aspekt des Raumgreifenden kennzeichnen auch zahlreiche andere Objekte, wie z.B. die Gemeinschaftsarbeit „What we cover up with“ aus der Slowakei von Dozent Miroslav Brooš und seiner Studentin Térezia Krnáčová, bestehend aus drei am Boden liegenden Wellen aus Plastiksäcken und Plastikmüll.
Politisch engagiert zeigt sich auch die Arbeit „Freiheit, Gleichheit, Solidarität“ von Ursula Bierbaumer-Bohle aus Österreich, die das Thema „Black lives matter“ behandelt. Dem sozio-kulturellen Programm „Living Fabrics“ entstammt das Objekt „Garden 4“ der Künstlerin Nesa Gschwend: Auf Reisen in Europa, aber auch Georgien oder Indien animiert die Schweizerin Menschen aus allen Bevölkerungsschichten und Altersklassen, an einem Textilobjekt mitzuwirken. Ähnlich ambitioniert ist die einer Afghanistaninitiative enstprungene Arbeit „A Place to live“ von Pascale Goldenberg: Zeichnung afghanischer Frauen von ihren Traum-Lebensorten werden auf eine Patchworkarbeit aus weißen, recycleten Leinenstücken projiziert.
Corona und seine Folgen sind naturgemäß ein wichtiges Thema, mit all seinen Facetten wie Stillstand/Stille, Zusammenhalt, Beziehungen/Verflechtungen, aber eben auch Zeichensetzung gegen Depressionen und Memento Mori.
Andere Arbeiten, die ästhetisch mit Farben und Formen spielen, konterkarieren allzu Gewichtiges, erinnern an die Ursprünge des Patchworkquilts und runden die Ausstellung ab, deren Ziel eine ausgewogene Rundumschau aller möglichen Aspekt zeitgenössischen Artquiltings ist.
Brahmsstrasse 8
Mittwoch, Samstag, Sonntag 13 bis 18 Uhr; Sondertermine für Gruppen nach Vereinbarung.
Dr. Kristine Scherer